Author Archives: Isa

Summer Essentials

Es ist Sommer, es ist warm und das bringt jedes Jahr die selben Themen aufs Tableau: Body Issues, Bodyshaming, übergriffiges Verhalten und wirklich fragwürdige Eissorten für 3 Euro die Kugel.

Obwohl natürlich an vielen anderen Stellen bereits von anderen schlauen Menschen geschrieben wurde, was für den Summer wichtig ist, darf ein solcher Beitrag auch an dieser Stelle nicht fehlen.

  1. Menschen dürfen anziehen, was sie wollen und worin sie sich wohl fühlen. Es gibt nicht den vermeintlich perfekten Körper, um eine kurze Hose oder ein trägerloses Top zu tragen. Körperteile sind nicht „zu“ irgendwas für eine Klamotte. Nicht zu dick, zu dünn, zu blass, zu haarig,…Das gilt für alle Geschlechter. Es gibt auch keine Pflicht, schmeichelnde Klamotten zu tragen, sich zu verhüllen oder sich besonders „typgerecht“ zu kleiden. Alle dürfen sich so anziehen, wie sie das zu Beginn des Tages entschieden haben, nicht, wie andere das machen würden.
  2. Kommentare über Körper sind fast immer überflüssig, daher lassen wir das. Ist eh klar, oder? Körperbehaarung, Pigmentflecken, Gewicht, Cellulitis, Sommersprossen, Dehnungsstreifen, Muttermale aber auch Narben sind normal. Manchmal steckt eine Geschichte dahinter, manchmal nicht. Manchmal ist eine Frage danach verletzend, manchmal nicht. Wenn wir also nicht wissen, ob wir fragen sollen, fragen wir einfach nicht. Ich habe eine Freundin mit sehr deutlichen Selbstverletzungsnarben. Ich kenne die Geschichte, es ist auch kein Geheimnis und sie versteckt sie auch nicht. Nichtsdestotrotz ist es keine Plattform, darüber zu philosophieren oder nachzufragen, weder in ihrem Beisein noch in ihrer Abwesenheit. Kinder haben damit ja meistens einen ganz anderen Umgang, neulich fragte ein Kind danach. Ihre Antwort: „Da ging es mir mal nicht so gut!“. Thema geklärt.
  3. Anstarren ist nicht ok. Selbst wenn man noch nie eine runde Person in einem Bikini gesehen hat oder Körperbehaarung bei einer weiblich gelesenen Person völlig abwegig findet: Don’t stare!
  4. Ausnahme von Kommentaren: Es gibt, wie ich finde, eine einzige Ausnahme, wann man etwas sagen darf und so handhabe ich das: Wenn die Person das innerhalb von wenigen Sekunden ändern kann, dann spreche ich es das. Das gilt für Fusseln auf dem Pulli, verlaufenes Make-up, etwas zwischen den Zähnen oder ein Insekt im Haar. Darauf mache ich meine Mitmenschen aufmerksam, das würden wir uns alle wünschen, statt den ganzen Tag mit einem offenen Knopf rumzulaufen, oder?
  5. Menschen schwitzen. Manche mehr, manche weniger. Get over it.
  6. Optik ist keine Einladung. Für gar nichts. Das gilt für aufreizende, verhüllende oder gar keine Kleidung.
  7. Es gibt keinen Sommerdruck. Auch wenn die halbe Welt draußen zu sein scheint, gibt es keine Pflicht, die warmen Temperaturen draußen zu verbringen. Es ist total ok, wenn man nicht raus möchte oder eine Pause braucht, lieber drinnen liest, Musik hört oder einen Film schaut. Oder halt arbeiten muss, obwohl man lieber draußen wäre.
  8. Sommer heißt auch häufig: Grillen und kühle Getränke. Auch hier dürfen alle essen und trinken, was sie möchten. Kein Fleisch? Ok, es gibt so viele tolle vegetarische Dinge, dass das Wort „Alternativen“ in diesem Zusammenhang der Vielfalt nicht gerecht wird. Jemand trinkt keinen Alkohol? Statt nach dem Warum zu fragen oder jemanden zu „nur dem einen Drink“ zu überreden, wäre es viel entspannter, einfach zu fragen, was man sonst anbieten darf. Und an dieser Stelle ein Hinweis in eigener Sache: NICHT JEDE FRAU ZWISCHEN 18 UND 45 IST SCHWANGER, WENN SIE KEINEN ALKOHOL TRINKT! Danke!
  9. Kein Körperthema, aber ein Seelenthema: Nicht alle können oder wollen sich einen Sommerurlaub leisten. Wir sprechen alle gerne davon, das ist auch total in Ordnung. Auch hier helfen sensible Antennen.
  10. Mach das Beste aus dem Sommer, es muss nicht der „Sommer Deines Lebens“ werden. Es darf auch einfach nur die Jahreszeit sein, die vor Herbst kommt. Und Spaghettieis, Wassermelone und laue Sommerabende sind vielleicht auch nicht ganz verkehrt.

The kids are all right

Neulich gab es in meiner ältesten WhatsApp-Gruppe ein lebhaftes Gespräch über Kinder. Genauer gesagt: Gewicht, Diäten und die generelle Körperlichkeit von Kindern. Ich (I.) habe keine Kinder, aber meine Freund*Innen haben einige davon, in dieser besagten Gruppe sind Eltern von insgesamt acht Kindern zwischen 2 und 13 Jahren, manche sind schlank, andere sind runder. Diese Gruppe besteht seit Jahren, und wir tauschen uns dort über vieles aus, weil wir nicht am selben Ort wohnen. Wir haben allesamt ein Verhältnis zu unserem Körper, das mal mehr oder weniger gestört war, wir kommen alle aus der Generation, die von Eltern öffentlich bloßgestellt und gemaßregelt wurde, wenn wir in den Augen unserer Eltern zu irgendwas waren: zu dünn, zu dick, zu groß, zu klein, zu zickig, zu weinerlich, zu laut, zu ruhig. Unsere Eltern, das fällt bei den Gesprächen auch immer wieder auf, haben selbst nie gelernt, ihre Körper zu mögen oder einen entspannten Umgang mit ihrem Gewicht zu entwickeln und haben das natürlich auf uns übertragen. Obwohl unsere Eltern sich nicht kennen, können wir alle fast identische Geschichten über Familienfeste, Weihnachtsessen oder andere familiäre Zusammenkünfte erzählen, in denen unser jeweiliger Kinderkörper niedergemacht wurde. Wir alle haben Geschichten, in denen unsere Mütter und Omas (es sind fast immer die Frauen) ihre eigenen Körper hassen und statt zu essen lieber rauchen, trinken oder jede kulinarische „Sünde“ ausufernd kommentieren, anstatt sie zu genießen. Anekdoten, dass wir unsere weiblichen Familienmitglieder eigentlich nur auf Diät kennen. In der Pubertät wurde es nicht besser, einige meiner Freund*Innen in dieser Gruppe hatten mit Essstörungen zu kämpfen. Viele Geschichten rühren zu Tränen, selbst jetzt, wenn ich nur daran denke.

Jetzt sind meine Freund*Innen Eltern, und es ist an der Zeit, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Was auffällt: Alle Eltern sagen und zeigen Ihren Kindern, dass sie absolut ok sind. Dass sie wertvoll und richtig sind, egal, wie sie aussehen. Das ist sehr schön, denn wir alle haben das in dieser Form noch nie von unseren Eltern gehört. Die Kinder haben auch grundsätzlich einen entspannteren Umgang mit ihrem Körper und und lernen, dass Essen Nahrung, Spaß, Vielfalt und Experimentierfreude bedeutet, statt der Einteilung in gute (weil gesunde) und böse (weil ungesunde) Lebensmittel. Meine Freunde, die selbst immer noch heilen, tun alles, dass ihre Kinder gestärkt werden, aber auch hier fällt auf, dass wir nie nur eine Insel der Glückseligkeit sind, sondern die Kinder natürlich in Kindergarten, Schule und Co. der Diätkultur und Fat Shaming ausgesetzt sind. Da wird sich der „dicke Bauch“ weggewünscht, der im Ballettkleid anders aussieht als von den dünnen Freundinnen, da wird kommentiert, dass man „sich Sorgen mache“, wie dick ein Junge sei. Oder direkt von anderen Kindern gesagt, dass ein Mädchen fett sei. Das vermeintlich fette Mädchen ist fit wie ein Turnschuh, geht zum Tanzen, Eiskunstlauf und Handball, geht in die zweite Klasse und ist verdammtnochmal ein Kind. Der vermeintlich dicke Junge liebt Essen, kocht gerne und an ihm prallen Kommentare bisher ab. Er ist aktiv, geht skaten und spielt Volleyball. Das soll keine Rechtfertigung sein, sondern zeigen: Nicht jedes runde Kind ist so, weil es jeden Tag Fast Food vor dem Fernseher isst, sondern weil auch Kinder komplett unterschiedliche Körper sind. Der ältere Bruder der beiden Kinder ist im Übrigen schlank, es sind einfach drei individuelle Menschen.

Das führt zu Unsicherheit, Ängsten und Panik bei den Erwachsenen, wie das noch weiter geht. „Denen ist vermutlich lieber, ihr Kind ist ein bisschen depressiv und hasst sich, als dass es fünf Kilo zu viel hat!“, resignierte meine Freundin, Mutter von den drei besagten Kindern. „Der Scheiß ist so gefährlich, auf einmal hungern die Kinder, und Du kannst nix tun. Und man muss so aufpassen, weil man selber ja auch so sozialisiert ist.“ Besser als das kann man es nicht sagen, daher lasse ich das Zitat meiner Freundin hier genau so stehen.

Wie reagiert man darauf? Ich weiß nicht, ob es DEN richtigen Weg gibt, aber ich führe hier mal gerne auf, was mein Freundeskreis so tut:

  • Ernährungsberatung, um richtiges Essen zu lernen, die eigene Essensgeschichte aufzuarbeiten und die Kinder zu gesundem Essen anzuleiten, ohne Scham, Schuld und Verbote.
  • Positive Affirmationen vor dem Spiegel: Ich bin genau richtig, wie ich bin!
  • Gespräche über Körperkommentare: Zuhause darf man alles ansprechen, das ist ein Safe space. Und die Antwort auf solche Kommentare ist kein Diätvorschlag für einen Neunjährigen, sondern ein ein offenes Gespräch.
  • Erlaubnis, sich dagegen zu wehren und Kommentator*Innen in die Schranken zu weisen: „Halt Deine Fresse!“
  • Therapie für alle Beteiligten, wenn nötig.
  • Entspannter Umgang der Erwachsenen mit dem eigenen Körper (die wohl härteste Lektion, insbesondere wenn die eigene Sozialisation wieder kickt).
  • Sport und Aktivitäten, die Spaß machen. Kinder sollten zum Volleyball, Reiten, Turnen, whatever gehen, weil es Ihnen Freude bereitet, nicht, weil es viele Kalorien verbrennt.
  • Vielfältigkeit im Medienkonsum: Bilderbücher für die Kleinsten mit vielfältigen Körpern zeigen schon früh, wie unterschiedlich Körper sind, trotzdem sind alle ok so. Meine Favoriten, die ich schon verschenkt habe und die meine Freund*Innen auch sehr feiern: „Überall Popos“ und „Ein Baby! Wie eine Familie entsteht„(Bei zweitem geht es nicht primär um Körper, aber dennoch um Unterschiedlichkeit und es werden auch nackte männlich gelesene Körper gezeigt, das ist bei „Überall Popos“ nicht so).

Und nun? Problem gelöst? Alle happy? Leider nein! Ich befürchte, es wird noch eine lange Weile dauern, bis Körpervielfalt auch bei Kindern ankommt. Bis Omas nicht mehr schmallippig auf pubertierende Körper starren und warnen, man fände ja später keine Partner*In. Bis Mütter nicht mehr dauerhaft auf Diät sind und nicht ins Schwimmbad gehen, weil sie sich zu dick fühlen. Bis Väter über das offen sprechen können, was Ihnen widerfahren ist und über das sie nie geredet haben, weil sie ja Männer sind. Bis Essen nicht mehr so ein riesiges Thema ist.

Dokutipps fürs lange Wochenende

Service-Post: In der ARD-Mediathek findet man aktuell eine interessante und kurzweilige Doku zum Thema Body Positivity. Was mir daran gefiel: Der Umgang mit runden Körpern ist unaufgeregt, wissenschaftlich, es werden sowohl runde Frauen als auch runde Männer gezeigt. Die wissenschaftliche Annäherung an das Thema kommt ohne stereotypische Bilder von runden, unglücklichen und nur Fast Food essenden Dicken raus, die sich medial so eingebrannt wie abgegriffen haben.

Ergänzend dazu ein kurzer Beitrag über Plus-Size-Aktivistinnen, in dem neben anderen tollen Frauen auch nochmal die großartige Melodie Michelberger zu Wort kommt.

An dieser Stelle nochmal der Reminder allgemein und für das Feiertagswochenende im Speziellen: Deine Familie hat Dich und Deinen Körper nicht zu kommentieren, Du darfst essen, was Du möchtest und Du kannst auch gehen, wenn es Dir zu viel wird!

Sophia Thiel: Du darfst schon gesund werden, aber bitte nicht dicker!

Sophia Thiel war lange Jahre das Vorzeigeaschenputtel der Fitness-Welt. Nach einer unglücklichen Jugend als moppeliger Teenager hat sie es mit Disziplin und viel Sport endlich zu Glück und Ansehen gebracht. Sie hat ihren Körper nämlich transformiert, einfach nur verändert reicht nicht. Mit 17 beginnt sie mit Kraftsport und wird 2012 dann zum ersten Mal Deutsche Meisterin im Bodybuilding.

Die Online-Welt ist verzückt. Sophia Thiel ist attraktiv, sportlich und beliebt, bringt eigene Programme auf den Markt, verkauft Bücher und ist Idol für eine ganze Generation von gleichermaßen beleibten wie unbeliebten Jugendlichen. Denn, wenn sie es geschafft hat, dann schaffen das alle. Solche oder ähnliche Slogans verkaufen sich auch ganz gut auf Sophias Kanälen, auf denen sie mit niedrigem Körperfettanteil erklärt, wie einfach und problemlos das auch für ihre Anhängerschaft möglich sei. Thiel ist gern gesehener Gast auf Fitness-Messen und eigentlich, so denkt man, ist Sophia Thiel auch ganz sicher genauso glücklich, wie sie fit ist.

Im Jahr 2018 dann der Cut: Aus dem Nichts kündigt Thiel eine längere Pause an. Sie taucht komplett unter, die Online-Community rätselt, was der Grund für das abrupte Aus ist. Alle Auftritte und Termine werden gecancelt, es herrscht Ruhe. Natürlich gibt es immer wieder Gerüchte, auch nach Monaten ebbt das Interesse nicht ab, endlich zu erfahren, was los war.

Die Ungewissheit bleibt zum Jahr 2021, in dem sich Sophia mit einem langen Video zurück meldet. In diesem Video erklärt sie ausführlich, dass sie in den Jahren zuvor unter anderem mit einer Essstörung und Depressionen zu kämpfen hatte. Bis zu einem Punkt habe sie das gut verstecken können, ihr Körper habe aber einfach nicht mehr mitgespielt. Der Druck auf sie war einfach zu groß, immer vermeintlich perfekt auszusehen und als Fitnesscoach eine Vorbildfunktion zu erfüllen. Daher nahm sie sich eine lange Pause, legte den Fokus auf ihre mentale Gesundheit und auf Heilung. Sie lernte viel über sich, ihren Körper und nutzte die Pause, um klarzukommen.

Und heute? Heute ist Thiel wieder sehr aktiv auf Social Media, legt ihren Fokus aber eher auf ganzheitliches Training, Body Positivity und eine gute mentale Balance. Klar, sie verkauft auch wieder Programme/Bücher und ist eben Influencerin, aber sie zeigt eben ein realistischeres Bild von sich und Sport. Sie hat, im Gegensatz zu ihrer aktiven Bodybuilder-Zeit, Gewicht zugenommen. Und das ist auch der Grund für diesen Artikel, denn Sophia veröffentlicht immer wieder Beiträge, die ihre körperliche Veränderung beinhalten oder vielmehr: das Bodyshaming, dem sie sich seitdem viel öfter ausgesetzt sieht. Das Perfide ist: Thiel ist weiterhin schlank, hat einen normschönen Körper und macht viel Sport. Sie ernährt sich gesund, genießt ihr Leben. Sie propagiert also eigentlich genau das, was alle Hater bei mehrgewichtigen Menschen im Internet anprangern. Thiel hat zugenommen, bewegt sich aber immer noch im absoluten „Normalgewicht“ (wir sind vorsichtig mit diesem Begriff, aber hier verwende ich ihn, um den Punkt klarzumachen). Und das reicht schon aus, Hasskommentare und dumme Sprüche zu bekommen, dass sie immer „dicker“ werde, früher besser aussah oder jetzt einen ruinierten Körper habe. Diese verarbeitet sich auch öffentlich, mitunter auch humoristisch, aber dennoch zeigen sie wieder mal die Grundproblematik unserer fettphobischen Gesellschaft:

Gewichtszunahme ist der Quell und Ursprung aller schlechten Gefühle, jedes Kilo ist ein persönliches Scheitern und Gründe werden nicht als diese akzeptiert: Körper ist politisch und ein vorher ungesunder Körper (Essstörungen und Depressionen machen einen Körper ungesund!), der ein jetzt ein gesunder Körper ist, ist dennoch ein schlechterer Körper, wenn er mehr wiegt. SELBST WENN diese Gewichtszunahme sich immer noch im Normbereich bewegt. Zum Glück kann man Fitness-Influecer dafür öffentlich anprangern, dann muss man sich weniger mit sich selbst beschäftigen. Wie perfide und dumm ist das eigentlich?

Das Gute ist: Thiel wird nicht müde, auch ihre Hasskommentare zu thematisieren und erreicht in der Fitness-Bubble auf diese Weise hoffentlich Menschen, die sich sonst nie mit internalisierter Fettphobie auseinandergesetzt hätten. Ich folge ihr schon eine Weile und finde sicherlich nicht alles gut, was sie postet, aber ich mag, dass sie ganz ehrlich und unaufgeregt zeigt, wie sie sich über die Jahre verändert hat. Vielleicht bringt das die Hater nicht zum Schweigen, aber hoffentlich ermutigt es stille Follower zu sehen, dass Körper sich immer im Wandel befinden, ob man nun Bodybuilderin, Feuerwehrmann oder Verwaltungsfachangestellte ist.

Musenzeit mit Sue Tilley – für immer nackt auf dem Sofa

Sue Tilley arbeitet als Büroangestellte (Benefits Supervisor) in London und an der Kasse des Londoner Nachtklubs „Taboo“, sie kommt dort in den 90er Jahren mit Kunstgrößen wie dem Performancekünstler Leigh Bowery in Kontakt. Dieser stellt ihr Lucian Freud vor. Freud war einer der bekanntesten und bedeutendsten Porträtmaler Großbritanniens.

Freud überredet „Big Sue“, für ihn Aktmodell zu sein, ihre körperliche Präsenz und besondere Ausstrahlung faszinierten ihn. Big Sue, Mitte 30 zu diesem Zeitpunkt ist eine sehr runde Frau. Vermutlich würden die meisten Leute sie als fett bezeichnen, aber mit einem abfälligen Zungenschlag. Im Jahrzehnt von „Heroine chic“ war ein solcher Körper vielleicht auch nochmal aufwühlender für andere Menschen als das heute immer noch der Fall ist.

Für insgesamt vier Werke Freuds sitzt sie Modell, oder besser: Sie liegt und hockt. Das erste Werk „Evening in the Studios“ aus dem Jahr 1993 verlangt ihr alles ab, denn dabei liegt sie in unbequemer Haltung nackt auf dem Boden, stundenlang, in mehreren Sessions, die sich über Monate hinzogen, meist am Abend und am Wochenende. Später sagt Tilley, dass sie kurz davor war, aufzugeben.

Das zweite Werk „Benefits Supervisor Resting“ entsteht 1994, ebenfalls über mehrere Monate. Hier konnte Tilley auf einem Sofa sitzen, den Kopf nach hinten gekippt. Im Gegensatz zum ersten Bild sind ihre Haare kurz geschnitten und auch die Schamhaare wurden entfernt.

Für das dritte Werk „Benefits Supervisor Sleeping“ (1995) liegt Big Sue seitlich auf einem Sofa, schlafend. Sie ist wieder nackt und mit einer Hand stützt sie ihre massige Brust. Dieses Bild bricht bei einer Kunstauktion bei Christie’s alle Rekorde, als es 2008 für über 30 Millionen Euro versteigert wird, und das zu Lebzeiten des Künstlers.

Ein Jahr später, 1996, entsteht das letzte Bild der Serie: „Sleeping by the lion carpet„, das Sue auf einem Sessel sitzend und schlafend zeigt, Ihr Kopf wird dabei von ihrer Hand gestützt.

Die Beziehung des Künstlers und seiner Muse ist geprägt von gegenseitigem Respekt, auch wenn die ungeschönten, unvorteilhaften Posen seiner Muse es nicht vermuten lassen, so hatte Freud viel für Big Sue übrig. Er war Perfektionist für seine Zwecke, anfängliche Bitten Sues, sie doch vielleicht in Kleidung mit etwas Make-Up zu malen, wurden nicht gehört. Als Tilley einmal nach einem Urlaub für Freuds Empfinden zu gebräunt war, unterbrachen sie die Arbeit für mehrere Monate, bis sie wieder blass genug war. Auch die Tätowierungen von Sue überschminkte der Maler vor den Sitzungen mit hochdeckendem Make-Up. Obwohl man in diesem Machtgefälle Ausbeutung oder Zwang vermuten könnte, war das nicht der Fall. Sue Tilley sagte später, sie wusste genau, auf was sie sich eingelassen habe. Sie wurde DAS Objekt für die Fleischeslust des Künstlers, roh, überzeichnet und fast unnatürlich aufgedunsen und massig.

Sein Stil zeichnet sich eben genau durch diese intensive, naturalistische Darstellung des menschlichen Körpers aus. Freud hatte eine besondere Fähigkeit, die physische Realität des Körpers in seinen Gemälden zu betonen und die Haut, Muskeln und Körperhaltungen seiner Modelle in einer Art und Weise darzustellen, die oft als ungewöhnlich oder unvorteilhaft empfunden wird.

Freud bevorzugte in der Regel eine realistische, fast fotografische Darstellung und arbeitete mit einer begrenzten Farbpalette, die seine Figuren in einer scheinbar alltäglichen Umgebung darstellte. Durch die hyperrealistische Darstellung seiner Motive erreichte er eine Tiefe und gibt Betrachter*Innen das Gefühl, direkt mit den dargestellten Personen interagieren zu können. Voyeuristisch, sagen die Kritiker*Innen, während die breite Anhängerschaft Freunds in jedem Pinselstrich mehr Tiefe entdeckt.

Sue Tilley, inzwischen Mitte 60, ist durch die Bilder nicht reich geworden, pro Session bekam sie ein paar Pfund. Sie hat Bücher geschrieben, unter anderem über ihre Zeit mit Freud und ist heute noch in der Kunstszene aktiv. Wenn man sie googelt, findet man Bilder einer Frau mit grauen Haaren und wachen Augen. Sie sieht viel lebendiger und jünger aus als auf den Gemälden der 90er.

Angebote, sich nackt fotografieren zu lassen, hat sie immer abgelehnt, das sei etwas völlig anderes als die Kunst, von der sie Teil sein durfte. Es ist ruhiger geworden um sie, aber die Faszination für Freuds Werke, von denen sie Teil sein durfte, dauert an.

Und so wird Big Sue als die wohl teuerste, dicke Frau in die Geschichte eingehen, die nackt auf einem Sofa liegt. Chapeau!

Dicke dürfen gar nichts, noch nicht mal geliebt werden!

Foto von Ravi Sharma auf Unsplash

Ich habe aktuell frei und saß neulich bei einem Kaffee zuhause, in Erwartung von etwas Entspannung und Ruhe. Dann habe ich einen Fehler gemacht: Ich habe seit Längerem mal wieder Twitter geöffnet. In meinem Feed wurde mir ein Foto angezeigt: Ricarda Lang von den Grünen hat sich verlobt. So weit, so schön. Doch dann habe ich den nächsten Fehler gemacht: Ich habe mir die Kommentare durchgelesen. Wider besseren Wissens und obwohl ich schon ahnte, was sich in der Kommentarspalte abspielt. Es war schlimmer, als ich dachte und den Kaffee hätte ich danach nicht mehr zum wach werden gebraucht.

Es gab Glückwünsche, keine Frage. Aber es gab auch andere Stimmen: Kommentatoren (Ich habe viele Kommentare gelesen, es waren allesamt Männer) führten politisches Versagen als Grund an, dass man Frau Lang auch persönlich kein Glück wünsche. Und es gab die zynischen Wünsche, mit dem neuen Eheglück könnte ein Rückzug aus der Politik verbunden sein, was das Beste für alle sei. Ich befürchte, mit diesen Kommentaren müssen politisch aktive Menschen dieser Tage fast rechnen, wenn sie etwas Privates ins Netz stellen. Womit ich nicht gerechnet habe, war die Härte der Kommentare, in denen es um Ricarda Langs Körper ging. Denn sie ist dick, unübersehbar. Das ist nichts Schlimmes, sie hat einen runden Körper, auf dem ein kluger Kopf sitzt. Sie ist eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens und hat sich erdreistet, auch privates Glück zu haben und das zu zeigen. Wie im Übrigen auch andere Politiker*Innen, man erinnere sich an die wochenlange Hochzeits-Soap auf Sylt rund um Christian Lindner und „seine“ Franca. (Frauen ändern oftmals ihren Nachnamen und bekommen ein Possessivprononomen, denn sie sind nun irgendwems Frau, aber das ist ein anderes Thema)

Ricarda Lang hat es doch tatsächlich geschafft, geheiratet werden zu wollen, sapperlott. Auf dem Foto sieht man im Hintergrund auch Ihren Partner Florian Wilsch, der auch schon in früheren Posts manchmal in Erscheinung trat. Er ist schlank und das läge laut eines Kommentars natürlich daran, dass Frau Lang ihm alles weg isst. Generell ereifern sich viele Kommentaren, dass der Verlobung sicher keine freiwillige Entscheidung zugrunde liegt, Florian Wilsch sei sicher gezwungen wurden, weil er nicht mehr rechtzeitig habe wegrennen können. Ein anderer Kommentator wünscht sich, dass die Twittergemeinde bei dem Moment dabei sein darf, wenn der Verlobte sie nach der Hochzeit über die Schwelle trägt. Das waren noch die harmloseren Kommentare, dennoch perfide und menschenverachtend, keine Frage.

Warum ist ein runder Körper immer Thema?

Ricarda Langs Dicksein bestimmt die Kommentare und es bestimmt (laut der Kommentare) auch ihren Anspruch auf persönliches Glück, ihre Kompetenz und ihre (öffentliche) Existenz. Ich habe mir weitere Posts angeschaut und Kommentare gelesen, auch da: Es geht immer um ihr Gewicht. Ihr Erscheinungsbild determiniert die Eigenschaften, die Menschen auf sie projizieren: Faul, inkompetent, unglücklich, langsam und natürlich selbst schuld an der Misere, dick zu sein. Die gesellschaftlich tief verankerte Fettphobie, die heute ganz schamlos öffentlich kommentiert wird. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie aus dem Jahr 2012, die gar von einer „doppelten Last“ spricht, der mehrgewichtige Menschen ausgesetzt werden: Gesellschaftliche Stigmata, die dann psychische Erkrankungen verstärken, statt, wie man wohl früher annahm, zum Abnehmen motivieren.

Ein Verlobungsbild passt in keine dieser Schubladen. Ricarda Lang passt generell nicht in diese Schubladen, denn obwohl man politisch mit ihr nicht übereinstimmen muss, kann man keiner Berufspolitikerin Faulheit oder Behäbigkeit vorwerfen. Zur Bundesvorsitzenden einer Partei wird man auch nicht einfach so gewählt, ohne kompetent zu sein. Es hat mich nicht überrascht, solche Kommentare zu lesen, ich hatte nur auf weniger gehofft.

Ich habe Twitter wieder geschlossen, dieser virtuelle Ausflug hat mich jedoch mehr als die Dauer eines Kaffees beschäftigt.

Sind wir wirklich erst so weit gekommen?

Zugegebenermaßen hinterlässt uns diese ganze Anekdote traurig, wütend und mit dem Gefühl, dass sich noch gar nichts geändert hat. Sind Body Positivity und Size Inclusivity doch nur Phänomene einer kleinen, naiven Bubble, die sich die Größe Ihrer Bewegung schönredet?

Ich möchte mit einem entschiedenen „NEIN“ dagegen halten. Es hat sich schon etwas getan, es ist eine Bewegung und es wird vor allem unaufhaltsam sein. Weil wir runden Menschen existieren, weil wir den Platz einnehmen, der uns zusteht. Und zwar in allen Bereichen des Lebens: Wir tragen die Klamotten, in denen wir uns wohl fühlen, wir machen Sport (weil wir Bewegung lieben und nicht zwangsläufig abnehmen wollen), wir werden Politiker*In und wir lieben und verloben uns, wie wir das möchten. Wir machen alles, wonach uns ist. Kurzum: Wir erobern uns alle Bereiche, nicht weil wir rund sind, nicht trotz unseres Körpers. Sondern einfach mit unserem Körper, der unser wertungsfreies Vehikel sein darf, das uns überall dort hin bringt, wo wir sein wollen. Uns fehlt es noch an Vernetzung, schambefreitem Austausch und wir müssen öfter laut sein, damit sich was ändert. Aber hey: Wir haben gerade erst angefangen.

Nicht nur ein dickes Fell: Online-Dating als runde Frau

In Single-Zeiten überlegt man sich irgendwann andere Möglichkeiten, jemanden kennenzulernen, wenn man schon nicht im Supermarkt gleichzeitig mit dem Seelenverwandten nach der selben Packung TK-Spinat greift. Zack, Boom, und sie lebten glücklich bis ans Ende Ihrer Tage…

Ich habe also ganz klassisch Dating-Apps ausprobiert, Tinder, Bumble, OkCupid und Co. mal mehr, mal weniger enthusiastisch betrieben. Dabei gab es einige wiederkehrende Muster in Bezug auf (meinen) runden Körper, über die ich schreiben möchte. Und ich rede jetzt nicht von Dickpics. Die gab es auch, aber das ist wohl ein Thema für einen ganz eigenen Blog.

Was man grundsätzlich sagen kann: Ich habe mir irgendwann ein sehr dickes Fell zugelegt, denn Online-Dating ist meiner Ansicht nach nur etwas für wirklich gefestigte, in sich ruhende und selbstbewusste Persönlichkeiten. Ich kenne auch Paare, die sich online gematcht haben und es wurde das große Happy End, aber ich kenne viel mehr Horror-Stories und in einigen war ich unfreiwillige Protagonistin.

Alle Plattformen, egal, wie sehr sie betonen, es ginge um die Persönlichkeit, sind oberflächlich. Und natürlich lädt man selbst Fotos hoch, die einen im bestmöglichen Licht zeigen. Die Oberflächlichkeit ist nachvollziehbar, in einer Bar als DEM klassischen Flirt-Beispiel spricht man ja auch eher jemanden an, der einem auf den ersten Blick optisch gefällt. Als runde Frau trage ich den offensichtlichen „Makel“ schon mit mir herum, ich bin eben nicht schlank. Ich bin rund, muskulös und eher kompakt. Das sieht man auch auf Bildern, selbst wenn ich einen Aufnahmewinkel und ein Outfit wähle, die mich sehr viel dünner aussehen lassen. T. kennt solche Bilder, allerdings schicke ich ihm viel lieber die ungestellten, authentischen Versionen. 🙂

Meine bloße Existenz zog schon die absurdesten Kommentare an, es ergaben sich die seltsamsten Situationen und es gab nicht nur einmal sehr widerliche und schmerzhafte Erlebnisse. Obwohl ich kein Fan von Schubladen-Denken bin, habe ich die folgenden Gruppen identifiziert. Mit ein bisschen Abstand zu dem ganzen Zirkus fällt mir das leichter, denn seit einigen Monaten nutze ich diese Plattformen nicht mehr. Das entspricht natürlich meiner rein subjektiven Wahrnehmung, die nur auf anekdotischer Evidenz beruht, aber hey, irgendwo muss man ja anfangen.

Gruppe 1: Die Fat-Shamer

„Ih, mit ner Fetten will ich nicht!“ oder „Oh, sorry, Du bist gar nicht mein Typ, ich stehe nur auf dünne Frauen. Das Match war ein Versehen!“, sind da noch die harmlosere Variante. Wieso man dann überhaupt matcht, bleibt mir ein Rätsel, aber es gibt ja auch Leute, die Hasskommentare auf Facebook schreiben. Wenn das Match nicht direkt aufgelöst wurde, habe ich das gerne ausführlich kommentiert, denn auch von irgendeinem Tinder-Ingo lasse ich mich nicht niedermachen. Andere Varianten: „Du hast echt ein hübsches Gesicht, aber…“. An meinem Körper gibt es kein Aber. So redet niemand über ihn. Ende der Diskussion.

Vor dem Match kann man diese Exemplare manchmal durch Ihre Profilbeschreibung erkennen, denn da schreiben sie direkt und unverblümt, dass sie auf schlanke, sportliche Frauen stehen, manchmal geben sie sogar ein Höchstgewicht an oder haben die klare Forderung: „Bitte sei nicht adipös, ich will dich über die Schwelle tragen können“. Ob sie jedoch eine Frau finden, die 15 Kilo wiegt? I doubt it. 😉

Gruppe 2: Die heimlichen Fans

Der Chat fängt meistens harmlos an, wird dann schnell flirty. Insbesondere vermeintliche Komplimente sind Teil des Gesprächs, kombiniert mit einem Fragenhagel über Vorlieben und wann das „letzte Mal“ denn gewesen sei. Es mutet immer ein bisschen an, als verstünden sich diese Männer als Retter der Dicken, denn schließlich kann das ja sonst niemand gut finden. Ein persönliches Treffen wird sehr schnell angepeilt, was sich grundsätzlich gut finde, denn es muss ja auch im echten Leben passen. Wenn ich einen öffentlichen Ort vorschlage, dann kommt von Gruppe 2 meistens ein Gegenvorschlag, man könnte ja auch ganz gemütlich Zuhause einen Wein trinken und was kochen. Schöne Idee, aber nicht beim ersten Date, das lernt man recht schnell. Manche sind dann direkt beleidigt und brechen das Ganze mit großem Getöse ab, man könnte sich ja vertrauen. Die anderen lassen sich widerwillig drauf ein oder der Kontakt schläft ein. Kommt es doch zu einem Treffen, sind sie plötzlich ganz kleinlaut oder es ist relativ schnell klar, dass daraus nichts Ernstes wird, sondern das auf einem rein sexuellen Interesse beruht. Das ist ok, wenn beide mit offenen Karten spielen, und zugegebenermaßen hat es manchmal viel zu lange gedauert, bis ich das verstanden habe. Weitere Treffen finden eher heimlich statt, bloß nicht in der Öffentlichkeit, so groß ist das Selbstbewusstsein dann doch nicht. Oft prahlen diese Männer damit, dass Ihre Ex ja Model sei, so schlank und so krass hübsch, aber Ihnen das ja nicht so wichtig sei, „echte Frauen“ mit Kurven gefielen Ihnen ja eigentlich besser. Als ob sie mir als der runden Frau noch mehr zu verstehen geben, dass ich dankbar und glücklich sein kann, in Anbetracht der Konkurrenz, die auch um dieses Premiumexemplar Mann buhlt. Ich habe über die Zeit einen Satz identifiziert, der die Gruppe 2 entlarvt, er fällt meistens recht früh in der Konversation: „Und, was suchst Du hier so?“ Sie vergewissern sich, dass sich hier bloß nicht verliebt wird und wenn es emotionale Befindlichkeiten geben SOLLTE, können sie sich schnell auf den Standpunkt zurückziehen, dass sie das ja von Anfang an gesagt hätten, eigentlich nur „alles auf sich zukommen lassen zu wollen“. Während des Kontakts geht es oft um Körperlichkeit, häufig um (meinen runden) Körper und es gefällt Ihnen ganz offensichtlich sehr gut, das sagen sie direkt. Manchmal wirkt diese Begeisterung wie eine Besessenheit auf mich, weil es nur noch darum geht. Ich bin rund, aber ich bin mehr als das und wenn ich das Gefühl habe, letzteres wird irrelevant, habe ich keine Lust mehr. Irgendwann bricht der Kontakt (abrupt) ab, sie tauchen unter und sind nicht mehr zu erreichen. Ghosting ist ein großes Problem in der schnelllebigen Dating-Welt und egal, wie selbstbewusst man ist, es ist immer eine sehr unangenehme Weise, abserviert zu werden.

Gruppe 3: Die heimlichen und vergebenen Fans

Eigentlich sind sie genau wie Gruppe 2, aber vergeben. Und nein, wir reden hier nicht über eine offene Beziehung, wir reden hier von Betrug. Sie möchten gerne mal was ausprobieren, auch mal „mit ner Dicken“ schlafen und stehen da vielleicht schon sehr lange drauf. Online findet sich viel leichter und heimlicher jemand. Plötzlich ergibt alles Sinn, die verhaltenen Antworten, die sporadischen Treffen, die Ungereimtheiten. Woher ich das so genau weiß? Nun, ich habe es manchmal später herausgefunden oder direkt gefragt und es dann kleinlaut bestätigt bekommen. Autsch, für die Partnerin und mich.

Gruppe 2 und 3 haben übrigens noch eines gemeinsam: In sehr vielen Fällen melden sie sich wieder, manchmal Jahre später. Wollen anknüpfen und geloben Besserung. Sind frisch getrennt und wollen es nochmal versuchen, weil sie es nicht vergessen konnten, „was wir hatten“. Ich weiß mittlerweile, dass das nichts mir mit zu tun hat, nichts daran schmeichelhaft ist und ich niemanden brauche, der meinen Wert erst viel später erkennt.

Gruppe 4: Die ehrlichen Fans

Es gibt auch Männer, die kein Geheimnis daraus machen, auf dicke Frauen zu stehen, das auch öffentlich zeigen wollen und sich nicht nur heimlich dazu bekennen. Das finde ich sehr gut. Wir alle haben Präferenzen, stehen auf den ein oder anderen Fetisch und haben gelernt, was uns bewegt und was nicht. Wenn jemand klar kommuniziert, bin ich ein großer Fan davon, schließlich ist das die Ebene für all das, was kommt, wenn man sich kennenlernt. Daran ist nichts verkehrt oder verwerflich, ich bin nunmal eine runde Frau, einen Partner zu haben, der das gut findet: yes, please! Man trifft solche Männer eher selten, manchmal haben sie in der Bio schon einen Hinweis versteckt.

Wenn ich mir eines für runde Frauen wünschen könnte, dann bitte mehr Männer wie in Gruppe 4, wertschätzende Absagen und Respekt, denn Dating bedeutet immer, auf Menschen zu treffen, mit Gefühlen, Ängsten und einer Seele, die nicht durch zwei mal falsch gewischt gebrochen werden darf.

Und was habe ich daraus gelernt?

Ich schreibe das auf, weil es vielen Menschen so geht, egal ob sie rund sind oder aus anderen Gründen nicht der Norm entsprechen. Ich weiß, dass viele Menschen wirklich fies sind, wenn sie sich anonym wähnen. Dass Menschen schamlos lügen und dass sie sich die absurdesten Geschichten ausdenken, anstatt ehrlich zu sein. Ich habe gelernt, dass viele, vielleicht sogar die meisten Menschen, nicht zu mir passen und dass das okay ist. Für mich ist es wichtig, darüber zu sprechen, denn lange Zeit waren mir diese Geschichten peinlich und ich dachte, dass es ja nur an mir liegen könne. Schließlich hatten alle Matches eine Sache gemeinsam: Mich! Das Narrativ in meinem Kopf war also, dass ich auch das Problem bin.

Ich weiß mittlerweile, dass ich niemanden dazu zwingen kann, in meinem Leben zu bleiben, indem ich besonders unkompliziert bin oder mein Allerbestes gebe, immer im besten Licht zu erscheinen. Damit ist Schluss, das gilt für alle Beziehungen in meinem Leben, seien es Freundschaften oder Liebesbeziehungen: Wer in meinem Leben eine Rolle spielen möchte, ist herzlich eingeladen. Come as you are!

Size doesn’t matter?

Foto von Daria Volkova auf Unsplash

Ich stand die Tage neben einer Frau, die sich ein T-Shirt kaufen wollte. Sie probierte zwei Größen des Shirts an und sagte eher beiläufig: “Das Problem sind immer meine Schultern…”

Ich habe nicht nachgedacht und zu ihr gesagt, dass das Problem sicher nicht ihre Schultern seien, mit denen ist alles ok. Das Problem seien höchstens die Shirts, die in Größe und Schnitt nicht passten. Da wir uns nicht kannten, war sie etwas verdutzt und um ehrlich zu sein: Ich auch. Ich hatte gerade einer wildfremden Person etwas über ihren Körper gesagt. Ungefragt, aus einem Reflex heraus. Es triggert mich, dass sie ihren Körper als Problem empfand. Und genau daher kommt meine schnelle Reaktion: Insbesondere Frauen kaufen Klamotten meistens ein, um irgendwas zu kaschieren, zu verstecken, zu strecken, zu optimieren oder sich im besten Fall unsichtbar zu machen, wenn gar nichts hilft. Ich kenne das selbst, würde meine Shopping-Erfahrung mit Freundinnen eher als anekdotische Evidenz anführen wollen, aber mir fällt eines auf: Das Angebot auf den Kleiderständern wird nach Schnitt, Stoff, Farbe und Größe gescannt, weniger danach, was einem wirklich gefällt. Weil wir alle diese Mythen im Kopf haben, von denen man sich, und ich schließe mich ein, nicht so einfach freimachen kann: Schwarz macht schlank, Querstreifen machen dick, V-Ausschnitt streckt und bitte keine Streublümchen unter einer Körpergröße von 1,62 m. Und wenn man dann unter Berücksichtigung aller Kriterien ein paar Teile gefunden hat, kommt der wirklich unangenehme Part erst noch: Anprobe in der Kabine.

Abgründe tun sich auf. Nicht nur, weil das Licht wenig schmeichelt, das ganze eng und stickig ist und einem dabei heiß und kalt wird, sich zu entblößen und sich dann der Wahrheit zu stellen: Gehe ich heute mit einer Jeans nach Hause oder ist Weinen auch noch eine Option?

Meistens nehme ich, wenn ich überhaupt noch in Läden einkaufe, alle Klamotten in mehreren Größen mit, denn auf die Zahl auf dem Schild kann ich mich nicht verlassen. Ich bin knapp 1,60 groß, rund und kurvig und habe Kleidung verschiedener Marken von Konfektionsgröße 38 (ein schwarzer Mantel) bis 54 (eine Jeansjacke) im Schrank. Der größte Witz ist ein Pulli in XS. Wohlgemerkt alles Kleidung, die mir gleichzeitig passt, nicht etwa alte Teile, in die ich mal reinpasste. Wonach soll ich also gehen, wenn ich etwas kaufe? Meistens verlasse ich mich auf meine Augen, aber je nach Material, Kleidungsstück und Passform ist das hinfällig. Ein Beispiel: Ein Kleid der Größe 44 aus einem Stoff ohne Stretch passt mir vielleicht oben und ziemlich sicher unten um den Hintern nicht. Ist es unten ausgestellt, könnte es klappen, wenn es keine engen Ärmel hat, denn da ist es dann auch wieder zu eng. Von anderen Marken sieht die Sache dann auch wieder anders aus, ein ähnliches Kleid ist dann viel zu weit oder ich komme noch nicht mal mit dem kleinen Zeh rein. In manche Läden gehe ich einfach gar nicht, da ich schon weiß, dass mir da nichts passt, bei anderen Marken kenne ich grob meine Größe. Es ist frustrierend und selbst an den selbstbewusstesten Tagen kann einem das die Laune vermiesen, denn ganz automatisch denkt man: Was stimmt nicht mit mir? Bin ich so komisch, dass mir nichts passt? 

Nein! Es hilft, sich ein bisschen mit Kleidergrößen auseinanderzusetzen: Kleidergrößen unterscheiden sich regional und sind nicht genormt. Wenn man alle Informationen dazu liest, kann man zusammenfassen: Es gibt grobe Vorgaben, wo und wie gemessen wird, danach hört es auch schon auf mit der Einheitlichkeit und alle Hersteller können machen, was sie wollen. Dass es verschiedene Stoffe, Anwendungsbereiche und Arten von Klamotten gibt, macht es nicht einfacher, denn natürlich sind die Messungen für einen gut sitzenden BH total anders als für eine Bluse. 

(Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Konfektionsgr%C3%B6%C3%9Fe, Stand 19.02.2023)  

Was heißt das nun für Verbraucher*Innen? Wir bestellen mehr online, wir schicken demnach auch immer mehr zurück (und tragen dazu bei, dass Online-Shopping teurer wird), weil es uns nicht passt und so genau weiß eigentlich niemand, welche Größe er oder sie trägt. Wir fischen im Trüben bei so etwas Banalem wie Klamotten. Ein bisschen Stoff knechtet uns, hat Einfluss auf unsere Laune und unser Wohlbefinden. Sollte es aber nicht eigentlich umgekehrt sein? Sollten Klamotten eher uns passen, nicht wir den Klamotten?

(https://time.com/how-to-fix-vanity-sizing/)

Hinzu kommt: Über die Jahre haben sich Konfektionsgrößen verändert, da Hersteller gemerkt haben, dass Menschen größer werden, aber dennoch kleine Kleidergrößen bevorzugen als das böse L oder XL. Large ist die Stoff gewordene Todsünde Völlerei, daher wird mit dem sogenannten “Vanity Sizing” seit den 1980ern entgegen gesteuert: Größen werden dahingehend verändert, im wahrsten Sinne des Wortes ausgeweitet, sodass größere Menschen in kleinere Größen passen. Eine Größe S heute war noch in den 50er Jahren eine Größe M oder L. 

(ebda.)

Im Übrigen beruht zu Teilen darauf auch der Mythos, dass Marilyn Monroe eine Größe 44 trug und eine “kurvige” und demnach ”richtige” Frau war und nicht so mager wie die heutigen Models. Das ist eine Urban Legend bzw. quasi ein Übersetzungfehler: Viele Ihrer Kleider sind gut erhalten und können ausgemessen werden, sie trug ungefähr eine Größe 34-36 nach heutigen Größen. Nach damaligen Größentabellen war es eine Größe 42-44, was aber nichts darüber aussagt, wie schmal sie wirklich war. Aufgrund ihrer Sanduhr-Figur wird sie missverständlicherweise als kurvig oder sogar eher dick wahrgenommen, was absolut nicht der Wahrheit entsprach.

(https://www.forbes.com/sites/katehardcastle/2021/07/07/marilyn-monroes-dress-size-myth-why-fashion-must-size-up/?sh=5e849a0640c9)

Und was machen wir nun?

Einfach ist es nicht, denn die Sache ist perfide. Wir alle müssen ja etwas anziehen. Die Konzentration darauf zu lenken, wie sich ein Kleidungsstück anfühlt, wie es sitzt und wie es gefällt, kann helfen. Das ist eine Übung, die man ständig wiederholen muss, denn manchmal beschleicht einen trotz besseren Wissens noch immer ein kaum erklärbares Glücksgefühl, in eine kleinere Kleidungsgröße reinzupassen. 

Kleidung muss gar nichts. Nicht (anderen) gefallen, nicht vorteilhaft sein, keine bestimmte Größe haben, nur, damit wir uns besser fühlen. Wenn wir das verinnerlichen, kann uns das freier machen, als sich dem Größenkampf zu stellen, den wir gar nicht gewinnen können. Denn wenn man mal genauer hinsieht, wird klar: Size really does not matter.

Fette Ferien: Wie körperinklusiv ist das Berlins KroneLamm in Bad Teinach Zavelstein?

Eines direkt vorweg: Dieser Beitrag ist unbezahlt und unbeauftragt, der Aufenthalt wurde selbst gebucht und bezahlt.

Das familiengeführte 4-Sterne-Wellnesshotel Berlins KroneLamm im nördlichen Schwarzwald bietet alles, was man für eine gelungene Auszeit braucht: Ruhe, Komfort, Kulinarik und Wellness. Finden dort auch fette Menschen Erholung?

Ich war insgesamt drei Mal dort, habe verschiedene Zimmerkategorien erlebt und habe mir bei meinem letzten Besuch erlaubt, mit dem fetten Blick durch das Angebot zu gehen und zu beobachten, ob verschiedene Körperformen Platz und Erholung finden können.

Zimmer:

Ich war in einem Doppelzimmer mit Balkon und Poolblick im Haupthaus, in der Königreich-Suite und in einem Doppelzimmer mit Balkon und Burgblick im Nebengebäude.

Alle Zimmer sind gut zu erreichen und es gibt Fahrstühle. Die Betten sind ausreichend groß, sodass auch zwei runde Menschen nebeneinander Platz finden. Die Dusche des Zimmers im Nebengebäude war sehr eng, ein sehr runder Mensch hätte dort nicht duschen können. Bei der Buchung müsste das dann angegeben werden, ich gehe jedoch davon aus, dass es Ausweichmöglichkeiten gibt. Insgesamt bieten die Zimmer ausreichend Platz und Komfort, sodass alle Körperformen dort nächtigen können.

Restaurant/Kulinarik:

Bei Buchung des Kulinarik-Pakets (Absolute Empfehlung!) erwartet die Gäste neben einem sehr reichhaltigen Frühstücksbuffet, einer Salatbar zur Mittagszeit, einem vielfältigen Kuchenbuffet und Obst, Tee und Wasser im Wellnessbereich auch ein abendliches 4-Gänge-Menü. Wer gerne isst bekommt hier die Rundumbetreuung. Die Stühle im Restaurant können für sehr runde Menschen aufgrund der Armlehnen zu eng werden, es gibt jedoch auch Tische mit einer Bank, auf der es dann kein Problem sein dürfte, auch mit sehr viel Bauch Platz zu finden.

Wer gar nicht genug bekommen kann: Nach dem Abendessen kann man sich eine Käseauswahl und Brot mit aufs Zimmer nehmen und dort den Abend entsprechend ausklingen lassen.

Wellnessbereich:

Der Wellnessbereich (so wie generell alle Ebenen des Hotels) kann mit dem Aufzug oder über die Treppe erreicht werden, mobilitätseingeschränkte Menschen haben also überall Zugang. Der größere Außenpool und der kleine Innenpool können über eine breite Treppe betreten werden. Die unterschiedlichen Saunen und das Dampfbad sind ebenfalls gut erreichbar und bieten Platz für runde Menschen. In den meisten Saunen ist das Licht gedimmt, man sitzt also egal mit welchem Körper nie auf dem Präsentierteller. Die Türen sind normal breit, ob jemand mit wirklich großem Körperformat durch diese Türen kommt, kann ich nicht abschließend beurteilen. Aber an dieser Stelle sei der Hinweis erlaubt: Da in den meisten Gebäuden Türen dieser Größe verbaut werden, kann das schon vorher gut eingeschätzt werden. 

Die Hochsitzsauna mit dem beeindruckenden Panoramablick über den Schwarzwald ist ein Highlight, das sich auch für fette Menschen lohnt. 

Abkühlung verschaffen mehrere Duschen, die großzügig gebaut wurden, auch das Kalttauchbecken bietet genug Platz für viel Mensch. 

Zwischen dem Saunieren muss auch noch Zeit fürs Nichtstun sein: Es gibt verschiedene Entspannungs- und Ruhebereiche zum Lesen oder Schlafen. Die Liegen haben mitunter seitliche Armlehnen, die unangenehm werden können, wenn man sehr rund ist. Dazu kann ich aber sagen: Ich habe einen großen Hintern, der in allen Liegen genug Platz fand, nichts war zu eng oder zu knapp. Wer an die Grenzen des Mobiliars stößt, dem sei der Ruheraum “Waldreich” empfohlen, dort gibt es Wasserbetten und großzügige Séparées, in denen das nicht passiert. Diese Alternativen sind auch kein Plan B, sondern eine wunderbare Möglichkeit, das Buch auch mal zur Seite zu legen und zu schlafen. 

In der Salzkammer gibt es neben den Liegen auch normale Bänke, auf denen alle Körperformen Platz finden.

Übrigens: Den Tag verbringt man meistens in Badekleidung oder eben ohne, alle Gäste bekommen einen Bademantel des Hotels. Hier gibt es verschiedene Größen und es kann getauscht werden, wenn der Gestellte nicht passt. 

Wenn man sich unsicher ist, ob die eigene Größe verfügbar ist, lohnt sich eine Nachfrage bei der Buchung.

Was geht nicht: Die Infrarotkammer ist sehr eng, hier dürfte es für sehr große und sehr fette Menschen schwierig werden, sich zu entspannen. Alternativ gibt es jedoch im Saunabereich einen Infrarot-Rückenstrahler, vor den man sich setzen kann, hier gibt es mehr Platz. 

Massagen/Anwendungen:

Bei meinen letzten beiden Aufenthalten habe ich keine Anwendung gebucht, daher kann ich keine aktuelle Bewertung abgeben. Eine Nachfrage an der Rezeption ist hier mit Sicherheit aufschlussreich.

Preise:

Wellness ist nie günstig, das vorab. Ich empfinde die Preise im KroneLamm jedoch als absolut angemessen. Das Kulinarik-Paket, der Eintritt im Wellnessbereich, die Übernachtung inklusive des reichhaltigen Frühstücksbuffets sind Ihren Preis wert.

Es besteht die Möglichkeit, sich ein individuelles Angebot zusammenstellen zu lassen, je nachdem, ob man Behandlungen dazu buchen möchte oder welche Zimmerkategorie in Frage kommt. Der Transparenz halber: Wir haben im Januar 2023 in einem Doppelzimmer im Nebengebäude für drei Nächte inklusive der Verwöhnkulinarik und den Getränken, die wir zum Abendessen getrunken haben knapp 450 Euro pro Person bezahlt. 

Im Sommer waren wir zu viert in der Königreich Suite für 2 Nächte inklusive Verwöhnkulinarik und haben inklusive der Getränke beim Abendessen rund 400 Euro pro Person bezahlt. 

Generelle Stimmung:

Als runder und zudem sehr sensibler Mensch fallen mir kleine Nuancen schnell auf, ob man angeschaut wird, wie divers die anderen Gäste sind oder ob das Angebot für alle mitgedacht ist. Ich war nicht umsonst schon drei Mal in diesem Hotel und bin mir sicher, dass noch einige Besuche folgen werden. Das Servicepersonal gibt sich immer die größte Mühe, durch Freundlichkeit und Offenheit alle Gäste willkommen zu heißen. Auch innerhalb des Personals spürt man Zufriedenheit und ich habe die meisten wiedererkannt, weil sie lange im Hotel arbeiten. Auch das spricht für ein gutes Klima. Bei meinem letzten Aufenthalt fiel mir positiv auf: Obwohl das Personal passend zum Ambiente Tracht trägt, sind hier sichtbare Tattoos und verschiedene Altersgruppen, Hautfarben und Körperformen Gang und Gäbe. Auf eine ganz unaufgeregte Art. Und das scheint sich dann auf alle zu übertragen: hier wird niemand angeschaut, bewertet oder schlechter behandelt, wenn er oder sie nicht der Norm entspricht. Im Gegenteil, es herrscht eine wohlwollende Gleichgültigkeit ein, sobald man das Hotel betritt. Hier dürfen alle Gäste sein. In aller Vielfältigkeit, in der es uns Menschen nunmal gibt. Weder muss man den teuersten Badeanzug einpacken, weil er ja gesehen werden könnte, noch muss man abends in der großen Robe zum Abendessen. Aber auch hier gilt: Wenn man das möchte, wäre das auch ok.

Das für mich eindrücklichste Zeichen, dass alle Gäste ihre Eitelkeit ein Stück weit abgeben dürfen: Beim Mittagessen sitzen die meisten Gäste im Bademantel am Tisch und bedienen sich am Salatbuffet. Die Uniform der Entspannten. In einer ganz besonderen Lässigkeit reihen sich also Badelatschen und Wanderschuhe der Tagesgäste zur kurzen Schlange am Buffet. Das passiert nicht einfach, das ist sogar ganz offiziell erlaubt, wie mir die Dame an der Rezeption bei meinem letzten Aufenthalt sagte: “Alle hier im Dorf sind an den Anblick von Menschen im Bademantel gewöhnt!” 

Wenn Wellness-Urlaub eines sein soll, dann ja wohl genau so entspannt, oder?

König sein in Zavelstein. (Oder Königin, wie es mittlerweile auch auf der Webseite ergänzt wurde!) Der Slogan des Hotels verspricht selbstbewusst Großes.

Und ich kann auch nach meinem dritten Besuch sagen: Absolut gerechtfertigt! Wer Wellness in entspannter und wirklich wohlwollender Atmosphäre erleben möchte und vielleicht Bedenken hat, ob es unangenehme Blicke gibt, dem kann ich für dieses Hotel die Angst nehmen. 

Fette Ferien, fette Erholung, fette Empfehlung!

Sag mal I., wärst Du manchmal lieber dünn?

In der Juristerei gibt es eine globale Antwort, die auf alle Sachverhalte immer passt: Das kommt darauf an!

Es gibt Tage, die kennen wir sicher alle, da wären wir lieber ganz langweilig, durchschnittlich und unauffällig. Da gingen wir lieber unbeschaut, unbemerkt und unkommentiert durchs Leben und abends wüsste niemand, dass er uns begegnet ist. Obwohl ich sehr selbstbewusst bin, habe ich manchmal auch solche Tage.

Das hat meistens nichts per se mit meinem Körper zu tun, vielmehr mit einer allgemeinen Seelenlage, bitte heute doch unsichtbar zu sein.

Wenn man dann in einem Körper wohnt, der nicht der gängigen Norm entspricht, rund ist und somit manchmal betrachtet wird, dann wünscht man sich Belanglosigkeit und dass niemand an der runden Form Anstoß findet und das äußert.

Vor einigen Jahren hätte ich die eingangs gestellte Frage in jedem Fall mit einem lauten JA beantwortet, weil ich zu diesem Zeitpunkt kein gutes Verhältnis zu meinem Körper hatte und ALLES dafür getan habe, dünner zu werden. Der Preis, den ich dafür zahlte, war hoch: meine mentale Gesundheit. Ich war besessen davon, was ich als nächstes (nicht) esse, wie oft ich noch Sport mache und wenn ich bei FreundInnen eingeladen war, wurde ich nervös, wie ich wohl den Versuchungen aus dem Weg gehen kann oder wie ich noch die nächste Sporteinheit reinknallen kann, um die Auswirkungen von den achso bösen Kohlenhydraten gering zu halten. Ich las Fitness-Blogs, hörte Fitness-Podcasts, eine App sagte mir genau an, wie unfassbar faul ich sei und wie viele Schritte mir noch zum persönlichen Glück fehlten. Sport machte mir schon Spaß, aber ich wählte die Workouts auch immer nach den verbrannten Kalorien aus. Stretching? Ein Spaziergang? Zählt nicht. Du bist krank? Zählt nicht!

War ich damals schlanker? Ja! War ich damals glücklich? Ich war nie unglücklicher als in diesen Hochphasen meines Fitness-Wahns. Die vermeintlich lieb gemeinten Komplimente und Beglückwünschungen taten weh, ich verstand erst später, warum: Wenn die Leute wüssten, wie es mir geht, würden sie mich dazu nicht beglückwünschen, denn ich war niemals trauriger und leerer als in diesen Zeiten. 

Es dauerte bis zu meinem 30. Lebensjahr, bis mir der wichtigste Schritt wie Schuppen von den Augen fiel: damit aufzuhören. Mich nicht mehr zu bekriegen. Die Friedensverhandlungen mit meinem Körper dauerten lange, und es gab Rückschritte. Aber wir haben es geschafft, wir sind zufrieden. Wir sind stark. Wir sind ein Zuhause für meine Seele. 

Ich kann daher heute mit Stolz sagen: Nein, ich wäre nicht lieber dünn. Ich mag meinen runden Bauch, meinen großen Po und meine starken Arme. Ich bin nicht bereit, meine mentale Gesundheit aufzugeben, um eine kleinere Hosengröße zu haben. Ich nehme den Platz ein, der mir zusteht und das gefällt mir richtig gut. Schaut mich ruhig an. Ich möchte stärker und muskulöser werden, aber nicht dünner, und ich möchte mich nie mehr so hassen wie die meiste Zeit meines Lebens. 

Heute ist Silvester. Wenn Ihr also Vorsätze habt, abzunehmen, keine Kohlehydrate mehr zu essen, jeden Tag einen Marathon zu laufen und auch sonst endlich ein guter Mensch (Achtung, Ironie) zu werden, dann überlegt bitte auch, wie Ihr Eure psychische Gesundheit dabei pflegt. Ihr seid genau richtig und Euer Wert hat nichts mit Eurem Gewicht zu tun. Wenn Ihr Euren Körper verändern wollt, ist das ok, denn es ist Euer Körper. Aber ihr MÜSST das nicht. 

Wir wünschen Euch einen guten Start ins neue Jahr und bitte, genießt Euer Silvester-Menü und denkt nicht, dass es nun “das letzte Mal” ist. Ihr dürft auch 2023 leckeres Essen genießen, dürft den Sport ausfallen lassen und ihr müsst Euch nicht optimieren. Ihr dürft einfach sein. Und das ist gut. 

In diesem Sinne: Fatty new year!