
Hintergrund: In der Kultursendung “Twist” bei Arte ging es in der Ausgabe vom 22. Januar 2023 um Body Positivity in der Kunst. Es kam auch die französische DJ Barbara Butch zu Wort, die als mehrgewichtige, lesbische und jüdische Frau für Sichtbarkeit und Toleranz steht. Butch ist auch ein Jean Paul Gaultier-Modell (Es ist nicht das erste Mal, dass Gaultier Plus Size Models zeigt, so war Beth Ditto bereits für ihn auf dem Laufsteg, und er half ihr bei ihrer eigenen Plus Size-Kollektion):
Unter dem Instagram-Beitrag zur Sendung gab es zahlreiche Hasskommentare, die Barbara Butch diffamieren, Ihren Körper beleidigen und Ihren Einsatz für Body Positity mit der Glorifizierung eines ungesunden Lebensstils gleichsetzen.
Darüber haben wir uns unterhalten.
T: Lass uns einen Artikel schreiben über die Instagram-Kommentare, die zu Barbara Butch und dem Beitrag geschrieben wurden. Es ist wirklich krass.
I: Ich habe einige Kommentare gelesen, nicht alle, ich konnte irgendwann nicht mehr weiterschauen. Es ist unfassbar traurig.
T: Was macht Dich traurig?
I: Es schockiert mich so sehr, dass gerade unter einem Arte-Beitrag so viel Dummheit zu finden ist. Irgendwie war ich zu naiv, ich dachte, gerade bei Arte istsei die Followerschaft tolerant und aufgeklärt. Aber wenn ich lese, dass Butch abnehmen solle, weil sie sicher krank und unglücklich sei und das ein solcher Lebensstil durch Fernsehbeiträge verherrlicht werde, dann weiß ich gar nicht, wo man da anfangen soll. Wie liest Du die Beiträge? Was machen sie mit Dir?
T: Ich fremdschäme mich vor allem. So viel Dummheit. So viel Respektlosigkeit. Natürlich muss man sie nicht schön finden. Ich finde sie schön, aber ich finde auch Kate Moss schön. Ich finde, dass sich Schönheit nicht an einer Zahl festmachen lässt. Leben und leben lassen. Ich denke, dass die meisten Kommentatoren andere Probleme haben, die sich durch ihre Beiträge äußern.
I: Body Positivity steht für Toleranz und Respekt gegenüber allen Menschen, egal, wie sie aussehen oder wie sie leben. Barbara Butch existiert, sie sagt nicht, dass alle Menschen fett werden müssen. Sie sagt auch nicht, dass ihr Lebensstil der bessere sei. Wieso fühlen sich Leute von ihrem dicken Dasein so angegriffen?
T: Weil es provoziert. Weil es anders ist. Aber, auch wenn es traurig ist, die ersten, die ihr Anderssein offen zeigen, ohne sich zu schämen, zahlen häufig einen Preis. Die ersten Frauen, die für Gleichberechtigung kämpften. Die ersten Homosexuellen. Aber sie stoßen einen Prozess an. Und der ist wichtig. Wir können Barbara nur dankbar sein, dass sie diesen Mut hat.
I: Was mich besonders traurig gemacht hat, waren die Kommentare, dass ihr sicher ein Bein abfällt, weil sie so dick ist. Oder dass die Evolution “schön” und “gesund” gleichgesetzt habe, weil das “gesunde Kinder” ergibt. Ich mein, ernsthaft? Was für ein Schlag ins Gesicht für mehrgewichtige Eltern und Eltern von nicht gesunden Kindern, sind die dann jeweils selbst schuld, wenn Ihre Kinder krank sind? Das ist so perfide und böse.
T: Mich erinnert das an Euthanasie, mit deren Namen im 3. Reich gesagt wurde, was gesund ist und was nicht und wer Kinder haben soll und wer nicht. Es ist ekelhaft.
I: Mich hat das sehr traurig und nachdenklich gemacht, zu allererst aber wütend. Wenn man den Beitrag verfolgt hat, hat man sehr deutlich erkannt, welche Mission Barbara Butch verfolgt, nämlich ein tolerantes und offenes Miteinander. Dass das so umgedreht wird, ist krass.
Was denkst Du, wie kommt man solchen Menschen bei, helfen da Argumente noch?
T: Die Anonymität des Internets bringt Menschen dazu, dass sie Dinge schreiben, die sie einem Menschen niemals direkt sagen würden. Ich bin absolut dagegen, dass es eine Klarnamenpflicht im Netz gibt, es ist eher eine Frage der Erziehung und der Bildung, dass so etwas nicht passiert. Manchmal denke ich aber auch an das Buch „Die Welle“: Man sucht sich eine andere, schwächer aussehende Gruppe, über die man sich erheben kann, um sich von seinem eigenen traurigen Leben erheben zu können.
Wieso denken Leute, dass solche Beiträge ok sind? Das ist ja nicht nur bei dicken Menschen so, generell haben ja viele Leute viel Meinung und wenig Ahnung.
Was würdest Du so jemanden gern ins Gesicht sagen?
T: Ich denke, dass so eine Beleidigung mehr über diese Menschen selbst aussagt als über Barbara. Wie oben schon gesagt, niemand würde so etwas sagen, wenn sie oder er mit sich selbst im Reinen wäre. Niemand ist bisher dadurch ein besserer Mensch geworden, dass man andere Menschen erniedrigt hat.
I: Ich würde Ihnen gerne erklären, dass das “Positivity” in Body Positivity nicht dafür steht, dass alle so werden müssen. Sichtbarkeit glorifiziert eben NICHT Übergewicht. Dicke Menschen sind Teil unserer Gesellschaft, mit jedem Recht, an ALLEM teilzunehmen. Laut zu sein. Bunt und schrill zu sein. Enge und aufreizende Kleidung zu tragen. Gesund oder ungesund zu sein, niemand schuldet irgendjemandem Gesundheit. Dafür steht diese Bewegung: Respekt. Und das schließt eben auch ein, nicht wahllos die Gesundheit und das spätere Schicksal von dicken Menschen zu bewerten, das können alle mit Mediziner*Innen besprechen. Vermutlich würde das rein gar nichts bringen, aber ich würde gerne mal sehen, wie solche Leute im echten Leben argumentieren, wenn ihnen ein dicker Mensch gegenüber sitzt.
T: Interessanterweise sind die mehrgewichtigen Menschen in einigen Altersgruppen in der Mehrheit. Aber aus irgendeinem Grund traut sich diese Mehrheit nicht aufzubegehren. Weil sie klein gemacht wird. Weil sie sich in der Minderheit fühlt. Das ist das Problem. Und zum Teil wird halt auch noch eingeredet, dass man krankhaft dick sei, siehe meinen Beitrag zum BMI. Was den meisten nicht klar ist: Dahinter steckt eine Milliarden-Industrie. Solange man den Menschen einreden kann, dass jedes Polster ungesund ist, kann man sehr viel Geld verdienen. Darum hat auch niemand Interesse daran, dass sich hier etwas ändert.
I: Wie dem auch sei: Ich gehe jetzt ins Bett, mit meinem runden Bauch und meinem großen Po. Gute Nacht, schöner Mann! 🙂
T: Schlaf gut, schöne Frau!
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