Dick im Business: Was sich bei Bewerbungsprozessen ändern muss!

Ich unterhielt mich neulich mit einer guten Freundin über Komplimente und welche wir am liebsten bekommen würden. Ihre reflexartige Antwort: „Dass ich hübsch aussehe und dass ich abgenommen habe!“. Ich weiß nicht, wieso, aber es hat mich wahnsinnig schockiert und beschäftigt mich seitdem sehr. Natürlich habe ich versucht, zu erklären, wieso Äußerlichkeiten eigentlich generell kein Thema für Komplimente sein sollten, aber sie entgegnete recht schnell, dass es ja darum ging, was SIE am liebsten hören würde. Fair enough, aber ist es wirklich das, was sie im Leben sein möchte? Wie sie gesehen werden will? Hübsch und schlank. Ich glaube, das fand ich am traurigsten an dieser Unterhaltung. Sie ist nämlich viel mehr: Sie ist witzig, fürsorglich, eine tolle Freundin, schlau und hat ein tolles Gespür für Ästhetik, auch außerhalb von Körpernormen.

Körper sind privat und grundsätzlichen dürfen wir alle damit machen, was wir wollen. Dürfte dann nicht auch meine Freundin über ihren Körper verfügen, dass er schlank und hübsch sein solle, weil sie das so will? Klar, das muss ich natürlich anerkennen. Aber ich glaube, sie möchte es aus den falschen Gründen. Schlank und schön sieht sie als wertvoller, erstrebenswerter und anerkennungswürdiger an, als einen runden und nicht normschönen Körper. Und das wird uns ja schon sehr früh eingetrichtert, über Generationen. Ich glaube noch nicht mal, dass sie das wirklich aktiv denkt, aber in unserer patriarchalen Gesellschaft wird das vorausgesetzt, dass insbesondere Frauen zuallererst hübsch und gefällig sein sollten, sich im Griff haben und nicht so viel essen dürfen. Dass sie dann auch erfolgreich, witzig und klug sein können, ist ok, aber wenn sie dabei auch noch schlank und schön ist: Jackpot. Studien geben ihr Recht: eine attraktive, schlanke Person wird kompetenter wahrgenommen, als eine dicke und zudem nicht normschöne Person. In Bewerbungsverfahren werden runde Menschen benachteiligt.

Der dicke Mann ist natürlich grundsätzlich auch ein Fehler, aber er wird noch eher gutmütig belächelt. Der gemütliche Teddybär, dem es eben schmeckt und der durch seinen wahnsinnig stressigen und wichtigen Job einfach leider keine Zeit für Sport hat. Klar, er könnte abnehmen, aber er ist halt sehr beschäftigt. Und bei den Geschäftsessen nur Salat zu essen, da kommt er nicht weiter. Und so maßregelt ihn seine Frau ab und an, jetzt doch nicht so zuzulangen, aber meine Güte, man kennt ihn ja auch als Genussmensch. Dass er die nächste Karrierestufe wegen seines Übergewichts nicht bekommt, ist unwahrscheinlicher, als dass eine dicke Kollegin die nächste Karrierestufe nicht erreicht, eben weil sie dick ist.

Hat meine Freundin jetzt nicht sogar recht? Hat sie es besser verstanden, ihre Karrierechancen zu optimieren, indem sie das Spiel mitspielt? Diese Konklusion macht mir ehrlich gesagt Angst, und ich will das nicht akzeptieren. Ein anonymes Bewerbungsverfahren wäre hier die Lösung: Kein Foto, kein Alter, kein Geschlecht, kein Name. Ich verschicke beispielsweise seit Jahren kein Foto mehr mit meiner Bewerbung. International sind solche Verfahren längst Standard, in Deutschland tut man sich damit schwer und setzt auf Freiwilligkeit der Unternehmen, die dann vor dem höheren Aufwand zurückschrecken. Indem man nur auf die Qualifikation setzt, würden dicke Menschen, ältere Menschen, Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund nicht sofort aussortiert werden. Klar, Gespräche und Assessments folgen und irgendwann sitzt man sich gegenüber, aber ich bin überzeugt, dass Vorurteile abgebaut werden, wenn man sich kennenlernt, auch auf beruflicher Ebene. Der Entscheidung, ein anonymisierten Verfahren durchzuführen, sind umfangreiche Überlegungen vorangegangen, Denkprozesse wurden angestoßen. Auch die Arbeitswelt kann nicht die Augen vor Veränderungen verschließen, echte Chancengleichheit zu schaffen und sich von erlernten Bias zu emanzipieren. Das ist anstrengend, aber jeden Aufwand wert, wenn man passende und motivierte Mitarbeitende finden will.

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