Sophia Thiel: Du darfst schon gesund werden, aber bitte nicht dicker!

Sophia Thiel war lange Jahre das Vorzeigeaschenputtel der Fitness-Welt. Nach einer unglücklichen Jugend als moppeliger Teenager hat sie es mit Disziplin und viel Sport endlich zu Glück und Ansehen gebracht. Sie hat ihren Körper nämlich transformiert, einfach nur verändert reicht nicht. Mit 17 beginnt sie mit Kraftsport und wird 2012 dann zum ersten Mal Deutsche Meisterin im Bodybuilding.

Die Online-Welt ist verzückt. Sophia Thiel ist attraktiv, sportlich und beliebt, bringt eigene Programme auf den Markt, verkauft Bücher und ist Idol für eine ganze Generation von gleichermaßen beleibten wie unbeliebten Jugendlichen. Denn, wenn sie es geschafft hat, dann schaffen das alle. Solche oder ähnliche Slogans verkaufen sich auch ganz gut auf Sophias Kanälen, auf denen sie mit niedrigem Körperfettanteil erklärt, wie einfach und problemlos das auch für ihre Anhängerschaft möglich sei. Thiel ist gern gesehener Gast auf Fitness-Messen und eigentlich, so denkt man, ist Sophia Thiel auch ganz sicher genauso glücklich, wie sie fit ist.

Im Jahr 2018 dann der Cut: Aus dem Nichts kündigt Thiel eine längere Pause an. Sie taucht komplett unter, die Online-Community rätselt, was der Grund für das abrupte Aus ist. Alle Auftritte und Termine werden gecancelt, es herrscht Ruhe. Natürlich gibt es immer wieder Gerüchte, auch nach Monaten ebbt das Interesse nicht ab, endlich zu erfahren, was los war.

Die Ungewissheit bleibt zum Jahr 2021, in dem sich Sophia mit einem langen Video zurück meldet. In diesem Video erklärt sie ausführlich, dass sie in den Jahren zuvor unter anderem mit einer Essstörung und Depressionen zu kämpfen hatte. Bis zu einem Punkt habe sie das gut verstecken können, ihr Körper habe aber einfach nicht mehr mitgespielt. Der Druck auf sie war einfach zu groß, immer vermeintlich perfekt auszusehen und als Fitnesscoach eine Vorbildfunktion zu erfüllen. Daher nahm sie sich eine lange Pause, legte den Fokus auf ihre mentale Gesundheit und auf Heilung. Sie lernte viel über sich, ihren Körper und nutzte die Pause, um klarzukommen.

Und heute? Heute ist Thiel wieder sehr aktiv auf Social Media, legt ihren Fokus aber eher auf ganzheitliches Training, Body Positivity und eine gute mentale Balance. Klar, sie verkauft auch wieder Programme/Bücher und ist eben Influencerin, aber sie zeigt eben ein realistischeres Bild von sich und Sport. Sie hat, im Gegensatz zu ihrer aktiven Bodybuilder-Zeit, Gewicht zugenommen. Und das ist auch der Grund für diesen Artikel, denn Sophia veröffentlicht immer wieder Beiträge, die ihre körperliche Veränderung beinhalten oder vielmehr: das Bodyshaming, dem sie sich seitdem viel öfter ausgesetzt sieht. Das Perfide ist: Thiel ist weiterhin schlank, hat einen normschönen Körper und macht viel Sport. Sie ernährt sich gesund, genießt ihr Leben. Sie propagiert also eigentlich genau das, was alle Hater bei mehrgewichtigen Menschen im Internet anprangern. Thiel hat zugenommen, bewegt sich aber immer noch im absoluten „Normalgewicht“ (wir sind vorsichtig mit diesem Begriff, aber hier verwende ich ihn, um den Punkt klarzumachen). Und das reicht schon aus, Hasskommentare und dumme Sprüche zu bekommen, dass sie immer „dicker“ werde, früher besser aussah oder jetzt einen ruinierten Körper habe. Diese verarbeitet sich auch öffentlich, mitunter auch humoristisch, aber dennoch zeigen sie wieder mal die Grundproblematik unserer fettphobischen Gesellschaft:

Gewichtszunahme ist der Quell und Ursprung aller schlechten Gefühle, jedes Kilo ist ein persönliches Scheitern und Gründe werden nicht als diese akzeptiert: Körper ist politisch und ein vorher ungesunder Körper (Essstörungen und Depressionen machen einen Körper ungesund!), der ein jetzt ein gesunder Körper ist, ist dennoch ein schlechterer Körper, wenn er mehr wiegt. SELBST WENN diese Gewichtszunahme sich immer noch im Normbereich bewegt. Zum Glück kann man Fitness-Influecer dafür öffentlich anprangern, dann muss man sich weniger mit sich selbst beschäftigen. Wie perfide und dumm ist das eigentlich?

Das Gute ist: Thiel wird nicht müde, auch ihre Hasskommentare zu thematisieren und erreicht in der Fitness-Bubble auf diese Weise hoffentlich Menschen, die sich sonst nie mit internalisierter Fettphobie auseinandergesetzt hätten. Ich folge ihr schon eine Weile und finde sicherlich nicht alles gut, was sie postet, aber ich mag, dass sie ganz ehrlich und unaufgeregt zeigt, wie sie sich über die Jahre verändert hat. Vielleicht bringt das die Hater nicht zum Schweigen, aber hoffentlich ermutigt es stille Follower zu sehen, dass Körper sich immer im Wandel befinden, ob man nun Bodybuilderin, Feuerwehrmann oder Verwaltungsfachangestellte ist.

One thought on “Sophia Thiel: Du darfst schon gesund werden, aber bitte nicht dicker!

  1. Pingback: Ist Lizzo eine Verräterin? – Rundschreiben

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert