The kids are all right

Neulich gab es in meiner ältesten WhatsApp-Gruppe ein lebhaftes Gespräch über Kinder. Genauer gesagt: Gewicht, Diäten und die generelle Körperlichkeit von Kindern. Ich (I.) habe keine Kinder, aber meine Freund*Innen haben einige davon, in dieser besagten Gruppe sind Eltern von insgesamt acht Kindern zwischen 2 und 13 Jahren, manche sind schlank, andere sind runder. Diese Gruppe besteht seit Jahren, und wir tauschen uns dort über vieles aus, weil wir nicht am selben Ort wohnen. Wir haben allesamt ein Verhältnis zu unserem Körper, das mal mehr oder weniger gestört war, wir kommen alle aus der Generation, die von Eltern öffentlich bloßgestellt und gemaßregelt wurde, wenn wir in den Augen unserer Eltern zu irgendwas waren: zu dünn, zu dick, zu groß, zu klein, zu zickig, zu weinerlich, zu laut, zu ruhig. Unsere Eltern, das fällt bei den Gesprächen auch immer wieder auf, haben selbst nie gelernt, ihre Körper zu mögen oder einen entspannten Umgang mit ihrem Gewicht zu entwickeln und haben das natürlich auf uns übertragen. Obwohl unsere Eltern sich nicht kennen, können wir alle fast identische Geschichten über Familienfeste, Weihnachtsessen oder andere familiäre Zusammenkünfte erzählen, in denen unser jeweiliger Kinderkörper niedergemacht wurde. Wir alle haben Geschichten, in denen unsere Mütter und Omas (es sind fast immer die Frauen) ihre eigenen Körper hassen und statt zu essen lieber rauchen, trinken oder jede kulinarische „Sünde“ ausufernd kommentieren, anstatt sie zu genießen. Anekdoten, dass wir unsere weiblichen Familienmitglieder eigentlich nur auf Diät kennen. In der Pubertät wurde es nicht besser, einige meiner Freund*Innen in dieser Gruppe hatten mit Essstörungen zu kämpfen. Viele Geschichten rühren zu Tränen, selbst jetzt, wenn ich nur daran denke.

Jetzt sind meine Freund*Innen Eltern, und es ist an der Zeit, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Was auffällt: Alle Eltern sagen und zeigen Ihren Kindern, dass sie absolut ok sind. Dass sie wertvoll und richtig sind, egal, wie sie aussehen. Das ist sehr schön, denn wir alle haben das in dieser Form noch nie von unseren Eltern gehört. Die Kinder haben auch grundsätzlich einen entspannteren Umgang mit ihrem Körper und und lernen, dass Essen Nahrung, Spaß, Vielfalt und Experimentierfreude bedeutet, statt der Einteilung in gute (weil gesunde) und böse (weil ungesunde) Lebensmittel. Meine Freunde, die selbst immer noch heilen, tun alles, dass ihre Kinder gestärkt werden, aber auch hier fällt auf, dass wir nie nur eine Insel der Glückseligkeit sind, sondern die Kinder natürlich in Kindergarten, Schule und Co. der Diätkultur und Fat Shaming ausgesetzt sind. Da wird sich der „dicke Bauch“ weggewünscht, der im Ballettkleid anders aussieht als von den dünnen Freundinnen, da wird kommentiert, dass man „sich Sorgen mache“, wie dick ein Junge sei. Oder direkt von anderen Kindern gesagt, dass ein Mädchen fett sei. Das vermeintlich fette Mädchen ist fit wie ein Turnschuh, geht zum Tanzen, Eiskunstlauf und Handball, geht in die zweite Klasse und ist verdammtnochmal ein Kind. Der vermeintlich dicke Junge liebt Essen, kocht gerne und an ihm prallen Kommentare bisher ab. Er ist aktiv, geht skaten und spielt Volleyball. Das soll keine Rechtfertigung sein, sondern zeigen: Nicht jedes runde Kind ist so, weil es jeden Tag Fast Food vor dem Fernseher isst, sondern weil auch Kinder komplett unterschiedliche Körper sind. Der ältere Bruder der beiden Kinder ist im Übrigen schlank, es sind einfach drei individuelle Menschen.

Das führt zu Unsicherheit, Ängsten und Panik bei den Erwachsenen, wie das noch weiter geht. „Denen ist vermutlich lieber, ihr Kind ist ein bisschen depressiv und hasst sich, als dass es fünf Kilo zu viel hat!“, resignierte meine Freundin, Mutter von den drei besagten Kindern. „Der Scheiß ist so gefährlich, auf einmal hungern die Kinder, und Du kannst nix tun. Und man muss so aufpassen, weil man selber ja auch so sozialisiert ist.“ Besser als das kann man es nicht sagen, daher lasse ich das Zitat meiner Freundin hier genau so stehen.

Wie reagiert man darauf? Ich weiß nicht, ob es DEN richtigen Weg gibt, aber ich führe hier mal gerne auf, was mein Freundeskreis so tut:

  • Ernährungsberatung, um richtiges Essen zu lernen, die eigene Essensgeschichte aufzuarbeiten und die Kinder zu gesundem Essen anzuleiten, ohne Scham, Schuld und Verbote.
  • Positive Affirmationen vor dem Spiegel: Ich bin genau richtig, wie ich bin!
  • Gespräche über Körperkommentare: Zuhause darf man alles ansprechen, das ist ein Safe space. Und die Antwort auf solche Kommentare ist kein Diätvorschlag für einen Neunjährigen, sondern ein ein offenes Gespräch.
  • Erlaubnis, sich dagegen zu wehren und Kommentator*Innen in die Schranken zu weisen: „Halt Deine Fresse!“
  • Therapie für alle Beteiligten, wenn nötig.
  • Entspannter Umgang der Erwachsenen mit dem eigenen Körper (die wohl härteste Lektion, insbesondere wenn die eigene Sozialisation wieder kickt).
  • Sport und Aktivitäten, die Spaß machen. Kinder sollten zum Volleyball, Reiten, Turnen, whatever gehen, weil es Ihnen Freude bereitet, nicht, weil es viele Kalorien verbrennt.
  • Vielfältigkeit im Medienkonsum: Bilderbücher für die Kleinsten mit vielfältigen Körpern zeigen schon früh, wie unterschiedlich Körper sind, trotzdem sind alle ok so. Meine Favoriten, die ich schon verschenkt habe und die meine Freund*Innen auch sehr feiern: „Überall Popos“ und „Ein Baby! Wie eine Familie entsteht„(Bei zweitem geht es nicht primär um Körper, aber dennoch um Unterschiedlichkeit und es werden auch nackte männlich gelesene Körper gezeigt, das ist bei „Überall Popos“ nicht so).

Und nun? Problem gelöst? Alle happy? Leider nein! Ich befürchte, es wird noch eine lange Weile dauern, bis Körpervielfalt auch bei Kindern ankommt. Bis Omas nicht mehr schmallippig auf pubertierende Körper starren und warnen, man fände ja später keine Partner*In. Bis Mütter nicht mehr dauerhaft auf Diät sind und nicht ins Schwimmbad gehen, weil sie sich zu dick fühlen. Bis Väter über das offen sprechen können, was Ihnen widerfahren ist und über das sie nie geredet haben, weil sie ja Männer sind. Bis Essen nicht mehr so ein riesiges Thema ist.

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