Dicke dürfen gar nichts, noch nicht mal geliebt werden!

Foto von Ravi Sharma auf Unsplash

Ich habe aktuell frei und saß neulich bei einem Kaffee zuhause, in Erwartung von etwas Entspannung und Ruhe. Dann habe ich einen Fehler gemacht: Ich habe seit Längerem mal wieder Twitter geöffnet. In meinem Feed wurde mir ein Foto angezeigt: Ricarda Lang von den Grünen hat sich verlobt. So weit, so schön. Doch dann habe ich den nächsten Fehler gemacht: Ich habe mir die Kommentare durchgelesen. Wider besseren Wissens und obwohl ich schon ahnte, was sich in der Kommentarspalte abspielt. Es war schlimmer, als ich dachte und den Kaffee hätte ich danach nicht mehr zum wach werden gebraucht.

Es gab Glückwünsche, keine Frage. Aber es gab auch andere Stimmen: Kommentatoren (Ich habe viele Kommentare gelesen, es waren allesamt Männer) führten politisches Versagen als Grund an, dass man Frau Lang auch persönlich kein Glück wünsche. Und es gab die zynischen Wünsche, mit dem neuen Eheglück könnte ein Rückzug aus der Politik verbunden sein, was das Beste für alle sei. Ich befürchte, mit diesen Kommentaren müssen politisch aktive Menschen dieser Tage fast rechnen, wenn sie etwas Privates ins Netz stellen. Womit ich nicht gerechnet habe, war die Härte der Kommentare, in denen es um Ricarda Langs Körper ging. Denn sie ist dick, unübersehbar. Das ist nichts Schlimmes, sie hat einen runden Körper, auf dem ein kluger Kopf sitzt. Sie ist eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens und hat sich erdreistet, auch privates Glück zu haben und das zu zeigen. Wie im Übrigen auch andere Politiker*Innen, man erinnere sich an die wochenlange Hochzeits-Soap auf Sylt rund um Christian Lindner und „seine“ Franca. (Frauen ändern oftmals ihren Nachnamen und bekommen ein Possessivprononomen, denn sie sind nun irgendwems Frau, aber das ist ein anderes Thema)

Ricarda Lang hat es doch tatsächlich geschafft, geheiratet werden zu wollen, sapperlott. Auf dem Foto sieht man im Hintergrund auch Ihren Partner Florian Wilsch, der auch schon in früheren Posts manchmal in Erscheinung trat. Er ist schlank und das läge laut eines Kommentars natürlich daran, dass Frau Lang ihm alles weg isst. Generell ereifern sich viele Kommentaren, dass der Verlobung sicher keine freiwillige Entscheidung zugrunde liegt, Florian Wilsch sei sicher gezwungen wurden, weil er nicht mehr rechtzeitig habe wegrennen können. Ein anderer Kommentator wünscht sich, dass die Twittergemeinde bei dem Moment dabei sein darf, wenn der Verlobte sie nach der Hochzeit über die Schwelle trägt. Das waren noch die harmloseren Kommentare, dennoch perfide und menschenverachtend, keine Frage.

Warum ist ein runder Körper immer Thema?

Ricarda Langs Dicksein bestimmt die Kommentare und es bestimmt (laut der Kommentare) auch ihren Anspruch auf persönliches Glück, ihre Kompetenz und ihre (öffentliche) Existenz. Ich habe mir weitere Posts angeschaut und Kommentare gelesen, auch da: Es geht immer um ihr Gewicht. Ihr Erscheinungsbild determiniert die Eigenschaften, die Menschen auf sie projizieren: Faul, inkompetent, unglücklich, langsam und natürlich selbst schuld an der Misere, dick zu sein. Die gesellschaftlich tief verankerte Fettphobie, die heute ganz schamlos öffentlich kommentiert wird. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie aus dem Jahr 2012, die gar von einer „doppelten Last“ spricht, der mehrgewichtige Menschen ausgesetzt werden: Gesellschaftliche Stigmata, die dann psychische Erkrankungen verstärken, statt, wie man wohl früher annahm, zum Abnehmen motivieren.

Ein Verlobungsbild passt in keine dieser Schubladen. Ricarda Lang passt generell nicht in diese Schubladen, denn obwohl man politisch mit ihr nicht übereinstimmen muss, kann man keiner Berufspolitikerin Faulheit oder Behäbigkeit vorwerfen. Zur Bundesvorsitzenden einer Partei wird man auch nicht einfach so gewählt, ohne kompetent zu sein. Es hat mich nicht überrascht, solche Kommentare zu lesen, ich hatte nur auf weniger gehofft.

Ich habe Twitter wieder geschlossen, dieser virtuelle Ausflug hat mich jedoch mehr als die Dauer eines Kaffees beschäftigt.

Sind wir wirklich erst so weit gekommen?

Zugegebenermaßen hinterlässt uns diese ganze Anekdote traurig, wütend und mit dem Gefühl, dass sich noch gar nichts geändert hat. Sind Body Positivity und Size Inclusivity doch nur Phänomene einer kleinen, naiven Bubble, die sich die Größe Ihrer Bewegung schönredet?

Ich möchte mit einem entschiedenen „NEIN“ dagegen halten. Es hat sich schon etwas getan, es ist eine Bewegung und es wird vor allem unaufhaltsam sein. Weil wir runden Menschen existieren, weil wir den Platz einnehmen, der uns zusteht. Und zwar in allen Bereichen des Lebens: Wir tragen die Klamotten, in denen wir uns wohl fühlen, wir machen Sport (weil wir Bewegung lieben und nicht zwangsläufig abnehmen wollen), wir werden Politiker*In und wir lieben und verloben uns, wie wir das möchten. Wir machen alles, wonach uns ist. Kurzum: Wir erobern uns alle Bereiche, nicht weil wir rund sind, nicht trotz unseres Körpers. Sondern einfach mit unserem Körper, der unser wertungsfreies Vehikel sein darf, das uns überall dort hin bringt, wo wir sein wollen. Uns fehlt es noch an Vernetzung, schambefreitem Austausch und wir müssen öfter laut sein, damit sich was ändert. Aber hey: Wir haben gerade erst angefangen.

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