Spoiler: Für alles!
In Gesprächen mit meinen Freundinnen, Arbeitskolleginnen oder Bekannten, beim Sport (gendern ist hier nicht notwendig, es sind ausnahmslos Frauen) höre ich es oft: Sätze, die mit „Sorry“ anfangen. Und ich selbst falle auch oft in dieses Muster. Wir entschuldigen uns für Dinge, die uns zustehen, für die wir nichts können, die außerhalb unseres Wirkungsbereiches liegen, für andere, für uns selbst, für das Verhalten von Kindern, Partnern, Haustieren, Chefs, rundum: Wir übernehmen scheinbar Verantwortung für alles, was uns irgendwie denken lässt, dass es unser Gegenüber stören könnte. Selbst wenn wir nur ahnen, es könnte zu einem Störgefühl führen, schicken wir eine Entschuldigung voraus, damit Gesprächspartner*Innen wissen: Ok, wenigstens haben wir es bemerkt, dass unser Auftritt mal wieder defizitär ist. Ich arbeite da seit Jahren dran und bemerke es dennoch häufig, dass ich mich verbal von Schuld entledigen möchte, obwohl ich nichts falsch gemacht habe. Woran liegt das? Ich habe darauf keine abschließende Antwort, bin mir aber sicher, es könnte an unserer aller weiblichen Erziehung liegen: Sei schön brav, kümmern Dich um andere, übernimm Verantwortung und heul bitte nicht rum und werd jetzt auf keinen Fall zickig. Wir Frauen haben gelernt, dass es an uns liegt, wenn etwas nicht klappt, daher übernehmen wir die Verantwortung im vorauseilenden Gehorsam, selbst, wenn wir gar nichts dafür können. Als dicke Frau ist man per se ja ohnehin nochmal mehr der Kritik ausgesetzt und fällt durch ein größeres Körpervolumen auf. Mir geht es zumindest oft so, ich möchte oft besonders beweisen, dass ich meine Leistung abliefere und alles im Griff habe, damit mein Gegenüber das Bild „dick = faul“ nicht erfüllt sieht.
Was ich damit übrigens nicht sagen möchte: Wenn man Mist gebaut hat, dann ist eine ehrliche Entschuldigung fällig. Keine, die unser Handeln direkt in einen Kontext setzt, dass wir ja doch nichts dafür können. Sondern eine ehrliche, aufrichtige Entschuldigung, die unserem Gegenüber auch Raum lässt, uns nicht sofort verzeihen zu müssen. Eine, die unabhängig davon ausgesprochen wird, was daraus wird oder ob wir daraus einen Vorteil ziehen. Eine, die nicht dem anderen direkt eine Mitschuld gibt, sodass wir uns besser fühlen. Das ist ein klarer Unterschied zu den aberwitzigen Gründen, für die sich Frauen so tagtäglich entschuldigen.
Ich habe mal ein paar Punkte zusammengefasst, für die sich Frauen in meiner Umgebung oder ich selbst schon entschuldigt haben. Viele Punkte heben sich auf, Entschuldigung dafür. Sorry auch, dass die Liste sicher nicht abschließend ist.
Entschuldigung, dass…
- ich zwei Wochen Urlaub habe
- mein Kind einen Wutanfall hat
- dass ich Kinder habe
- dass ich keine Kinder habe
- dass ich mit den Kindern Pizza bestellt habe, statt ausgewogen für sie zu kochen
- dass ich ausgewogen gekocht habe für die Kinder, Du das aber ausnahmsweise nicht geschafft hast und Dich nun schlecht fühlst
- dass mein Mann zu spät zur Verabredung kommt
- dass mein Chef zu spät zum Meeting kommt
- dass mein Chef nicht auf das Meeting vorbereitet ist
- dass mein Nudelsalat nicht genug gesalzen ist
- dass ich nicht genug im Garten gemacht habe
- dass ich zu viel an mich reiße
- dass es Dir nicht gut geht
- dass es mir nicht gut geht
- dass ich das Regal nicht alleine schleppen kann
- dass ich Dich frage, ob Du mir hilfst, das Regal zu schleppen
- dass ich im vierten Stock wohne
- dass ich Dich um Rat frage
- dass ich Dich nicht um Rat frage
- dass ich nicht aufgeräumt habe, als Besuch kam
- dass meine Wohnung zu sauber ist, weil Du Dich schlecht fühlen könntest, weil es bei Dir nicht so ordentlich ist
- dass ich Zeit für mich brauche
- dass ich viel Sport mache
- dass ich keinen Sport mache
- dass ich Dich um Hilfe fragen muss
- dass ich mich nicht getraut habe, Dich um Hilfe zu fragen
- dass ich überhaupt Hilfe brauche
- dass ich etwas noch nicht weiß, was ich nicht wissen kann, weil es mir nie jemand gesagt hat
- dass ich viel weiß und einen schlauen Gedanken hatte
- dass ich nicht auf einen naheliegenden Gedanken kam
- dass ich geschminkt bin
- dass ich nicht geschminkt bin
- dass ich beim Sport schwitze
- dass ich in der Sauna schwitze
- dass ich hungrig bin
- dass ich nicht hungrig bin
- dass ich auf einem Foto nicht hübsch aussehe
- dass ich eine kurze Hose trage, obwohl ich dick bin
- dass ich Deine Arbeit übernommen habe, weil ich Kapazitäten hatte und Du nicht
- dass ich Deine Arbeit nicht übernommen habe, weil ich zu viel zu tun habe
- dass ich Lust auf Sex mit Dir habe
- dass ich keine Lust auf Sex mit Dir habe
- dass ich in der Bahn an Dir vorbei muss, weil ich aussteigen will
- dass ich Dir sage, was mich stört
- dass ich mich nicht getraut habe, Dir zu sagen, was mich stört
- dass ich meine Haare gestylt habe und mir dafür morgens Zeit genommen habe
- dass ich meine Haare einfach nur zusammengebunden habe
- dass ich das Geschenk nicht hübsch eingepackt habe
- dass es vermeintlich nur eine Kleinigkeit war (was es nicht war)
- dass ich krank bin
- dass ich eine Verabredung absage, weil ich krank bin
- dass ich Dir ein schlechtes Gefühl gegeben habe
- dass ich mich entschuldige
Und was sagt uns das? Dass es egal ist, was wir tun, es wird immer Gründe geben, für die wir uns entschuldigen könnten. Vielleicht reicht es auch erstmal, das anzuerkennen und im Kleinen anzufangen, Sätze nicht mit einer Entschuldigung zu beginnen. Ich habe mir auch angewöhnt, es behutsam anzusprechen, wenn sich Menschen in meinem Umfeld grundlos entschuldigen. Manchmal hilft es, manchmal folgt eine weitere Entschuldigung für die Entschuldigung. Wir müssen viel lernen, nachdenken und Muster begreifen, um das zu ändern. Aber ich denke, es ist jede Mühe wert, für ein schuldfreies Leben, das wir uns viel zu oft selbst auferlegen.